Belarus: Zwischen Rundem Tisch und schneller Eingreiftruppe

Werner Schulz, MdEP

19. September 2011
Werner Schulz
In seiner wachsenden Angst vor einem heißen Herbst ist Lukaschenko offenbar jedes Mittel recht: Ein Runder Tisch für Belarus? Eine großartige Idee. Wer träumte nicht gern, dass am berühmtesten Möbelstück der Geschichte noch einmal der Nachlass eines östlichen Diktators neu geordnet werde? Doch die Hoffnung stirbt zuerst, wenn der Vorschlag von dem seit 17 Jahren regierenden Despoten Alexander Lukaschenkos kommt.

Seit seiner politischen Institutionalisierung steht der Runde Tisch für den Ansatz, widerstreitende Interessensgruppen zu einem gleichberechtigten Dialog zu versammeln und gemeinsam getragene Lösungen zu erarbeiten. Wer will ernsthaft glauben, dass dies tatsächlich Lukaschenkos Ziel ist?

Wer soll das moderieren und wer sollen die Teilnehmer sein? Die belarussische Opposition, deren führende Köpfe im Gefängnis sitzen oder ins Ausland geflohen sind? Russland oder die EU? Ein ernst gemeintes Angebot sieht anders aus. Eher geht es um den Versuch, eine weitere Runde der Schaukelstuhlpolitik zwischen Russland und der EU einzuläuten. Eine beliebte Methode des belarussischen Staatsoberhaupts, um als lachender Dritter seine Pfründe und seine Macht zu sichern.

Die Luft um den aufgestiegenen Kolchosdirektor ist dünn geworden. Sein Überlebenskampf hat längst begonnen. Blindwütig und immer unberechenbarer lehrt er insbesondere seinem eigenen Volk das Fürchten. Welche Steigerungen bleiben Lukaschenko noch, um die brodelnde Unzufriedenheit unter Kontrolle zu halten und den wirtschaftlichen Ruin und Ausverkauf abzuwenden?

Was Lukaschenko umtreibt, zeigt sein jüngster Vorstoß, in dem postsowjetischen Militärbündnis OVKS eine schnelle Eingreiftruppe zu bilden, um Staatsstreiche zu verhindern. Auch wenn Lukaschenko bisher keine bewaffneten Rebellen zu befürchten hat wie sein enger Freund Gaddafi, auch in Osteuropa wurden schon manche Herrscher vom Thron gejagt und Diktaturen zerschlagen.

Niemand weiß, heute ob es noch Wochen, Monate oder gar Jahre dauern wird, bis die Ära Lukaschenko Geschichte ist. Zumindest gefühlt hat die Zeit danach bereits begonnen. Die belarussische Opposition ist jetzt gut beraten, alte Ränke ruhen zu lassen und starke Bündnisse zu schmieden. Nur geeint wird sie es schaffen, Konzepte zu erarbeiten und eine ernsthafte Alternative zum autoritären Gesellschaftssystem in Belarus zu entwickeln.

Europa wird seinen Teil beitragen, um der belarussische Zivilgesellschaft auf diesem Weg beizustehen. Schon heute gibt einen lebendigen Austausch mit ihren Vertretern und innerhalb der Europäischen  Institutionen über die Frage, wie und unter welchen Bedingungen Hilfe am besten gewährt werden kann.

Darüber hinaus geht es uns aber auch darum, andere wichtige Akteure einzubinden. Auch wenn die Stühle der belarussischen Parlamentarier leer geblieben sind, wird sich jetzt die parlamentarische Versammlung der östlichen Partnerländer EURONEST mit der politischen Lage ihres Nachbarn befassen.

Auch Russland wollen wir in die Verantwortung nehmen und bereits am 19./20. September 2011 mit unseren russischen Ausschusskollegen in Warschau über die Lage im gemeinsamen Nachbarland sprechen. Wichtigstes beiderseitiges Interesse muss es sein, eine mögliche Eskalation der Gewalt und erneute Massenverhaftungen und Blutvergießen zu verhindern.

Eins ist sicher: Veränderungen in Belarus wird es, egal in welche Richtung, ohne Russland nicht geben.
Europa sollte mehr Mut haben, lauter und leidenschaftlicher seine Solidarität und Unterstützung zu versichern. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als das klare Signal, dass das belarussische Volk in der Bewältigung der derzeitigen Lage fest auf Europa zählen kann.

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Der Artikel erschien zuerst auf www.werner-schulz-europa.eu

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